Eine Rezension von Tom Adler
Die Welt kommt ins Dorf. So etwas geschieht selten genug, noch dazu, wenn Musik, die seit 200 Jahren kein Mensch mehr gehört hat, gespielt wird.
Das Projekt „Ein Dorf singt“ erlebte in diesem Jahr seine siebente Auflage unter dem Titel „Gloria in excelsis Deo“. Michael Pauser, Liedermeister des Gesangvereins zu Langenbernsdorf e. V., initiierte die Konzertreihe 2013. Alles begann mit Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium und so auch das Konzert am 5. Dezember im Landgasthof „Weißes Roß“ in Langenbernsdorf. Der Saal füllte sich mit ortsansässigen Traditionsbesuchern und mit solchen, die extra aus ganz Deutschland angereist waren. Eine gespannte Atmosphäre lag bereits vor den ersten fünf Paukenschlägen des „Jauchzet, frohlocket“ in der Luft. Neben der ersten Kantate des Weihnachtsoratoriums standen Antonio Vivaldis Gloria und drei Werke Luigi Cherubinis auf dem Programm. Dass hier das Dorf auch für das Dorf singt, konnte man dem Publikum deutlich anmerken, welches den Chor mit herzlichem Applaus begrüßte, ebenso das Haus-Orchester der Konzertreihe: die Vogtland Philharmonie Greiz/Reichenbach.
Der festliche Eingangschor wurde präzise dirigiert, der Chor feierte dieses besondere Werk mit Fröhlichkeit. Pauser gestaltete die Kantate dramatisch, vor allem in der Arie „Bereite dich, Zion“ (sehr gut interpretiert von Marie Henriette Reinhold) wirkte die Reduzierung der Continuo-Besetzung innig. Auch wenn sich Marlon da Silva Maia in der Arie „Großer Herr, o starker König“ mühte, erntete der erste Teil des Programms begeisterten Applaus. Im Anschluss wurden mit dem Publikum Adventslieder gesungen – ein Novum der Konzertreihe.
Während man heute gerade noch Luigi Cherubinis Namen kennt, so war doch u. a. Beethoven beeindruckt von dessen kompositorischen Fähigkeiten. Dennoch ist seine Musik heute wenig bekannt, was sich u. a. durch die Werke selbst erklären lässt: Deren Besonderheit liegt darin, dass sie die Brücke zwischen barockem Prunk, klassischer Verarbeitung von Themen und romantischer Ausdrucksästhetik schlägt. Daher irritiert das Continuo-Cembalo, wenn der Tenor eine Arie singt zu einer Orchesterbegleitung, wie man sie in Webers Opern antreffen könnte. Martin Lattke trug emphatisch den Solopart in Ecce panis angelorum (Nr. 179) von 1816 vor. Dieses erinnerte mit seinem anrührenden Klang bereits an das Panis angelicus César Francks, welches aber erst 44 Jahre später entstand. Auch O salutaris hostia (Nr. 197), welches 1818 für Chor, vier Solisten und Orchester geschrieben wurde, besitzt enorme Ausdruckskraft, die durch die Verarbeitung von Elementen der sakralen Musik und der Grand Opéra erreicht wird. Damit wird er zum Vater der großen französischen Kirchenmusik des 19. Jahrhunderts, wie sie Charles Gounod und Camille Saint-Saëns weiterentwickelten. Der Gesangverein zu Langenbernsdorf e. V., die Solisten und das Orchester interpretierten das spannende Werk unter Pausers Leitung mit großer Begeisterung und Hingabe.
Das Schicksal des Vergessens, welches Cherubinis Kompositionen ereilte, teilten sowohl das Weihnachtsoratorium, welches mehr als 130 Jahre nach der Uraufführung ungespielt blieb, als auch Vivaldis Gloria, das nach Vivaldis Tod fast zwei Jahrhunderte in Vergessenheit geriet.
Das Gloria, eine der bekanntesten geistlichen Kompositionen des rothaarigen Priesters Vivaldi, wurde mit befreiender Leichtigkeit musiziert. Plastizität im Chor und saubere Intonation machten diesen Klang zu einem besonderen Genuss. Das Duett „Laudamus te“ gestalteten Andrea Chudak und Frau Reinhold besonders abwechslungsreich. Dass die Virtuosität des „Domine Fili unigenite“ für einen Laienchor eine Anforderung ist, die einige Schwierigkeiten mit sich bringt, ist verständlich, umso bemerkenswerter war die Sicherheit, mit der die Schlussfuge „Cum Sancto Spiritu“ bewältigt wurde.
Den Abschluss des Programms bildeten Cherubinis Litanie della Virgine (1810). In Anklängen an das Gebet der Elisabeth in Wagners Tannhäuser (der freilich erst 32 Jahre später entstand) bewegte sich das Werk zwischen tiefer Demut und großem Lobgesang. Das gesamte Ensemble zeigte großes Verständnis und einen sicheren Umgang mit diesem Chorwerk. Durch das Spiel mit der Hörerwartung des Publikums, die im Finale immer wieder gebrochen wurde, zeigte sich Cherubini als Meister des Haltens der Spannung bis zum Schluss.
Nachdem der letzte Akkord das Konzert beendete, brach tosender Beifall für alle Aufführenden aus. Trotz der enormen Anstrengungen, der geballten Konzentration, die das knapp zweitstündige Programm dem gesamten Ensemble abverlangte, klang Händels „Hallelujah“ mit enormer Kraft als Zugabe so frisch, als würde das Programm gerade erst beginnen.
Eine historische Mission ist es, was da vollbracht wird: So, wie viele Werke, die heute in aller Welt gespielt werden, nach ihrem Vergessen wiederentdeckt werden mussten, so werden seit mehreren Jahren Cherubinis Werke wiederentdeckt – in Langenbernsdorf so viele, wie an keinem anderen Ort weltweit. Ein großes Verdienst um die Musikgeschichte und eine großartige Leistung eines Dorfes, das Cherubini wiederbelebt – und singt.